Stefan Leder (Beirut) / Evelin Dierauff (Halle/Saale)
University of Münster, Germany
Tuesday, 24. September 2013, 07:00-07:00
Katholische Theologie II, Johannisstraße 8–10, mezzanine floor
Das Panel wird organisiert vom Forschungsprojekt „Politische Paradigmenbildung in islamischer Tradition“ am Orient-Institut Beirut. Ziel des Panels ist allgemein, Grundlagen und Entwicklungen der Geschichte des politischen Denkens zu erkunden. Daraus ergibt sich die Aufgabe, systematische Zugänge zu einer weitverzweigten und vielfältigen Literatur zu suchen und markante Beispiele der politischen Literatur (Ratgeberliteratur/Fürstenspiegel, Ethik, Staatsrecht, Handbücher), insbesondere von bislang weniger bekannten Titeln, vorzustellen. Das Projekt selbst, das sich auf die Zeit des lokalen Sultanats konzentriert (ca. 12.-17. Jh.), wird in zwei Beiträgen vorgestellt.
Stefan Leder (Beirut) / Evelin Dierauff (Halle/Saale):
Politische Literatur (12.-16. Jh.): Lokale Souveränität und legitime Herrschaft
Das Interesse, die Grundlagen souveräner lokaler Herrschaft darzulegen, stieg ganz offensichtlich mit dem Niedergang der politischen Macht und der normativen Bedeutung des Kalifats. Mit dieser Entwicklung, die auch als historische Emanzipation vom Geltungsanspruch der politischen Theologie des Kalifats verstanden werden kann, entstand eine umfang- und kontrastreiche politische Literatur, in der die Themen Legitimität und gutes Regieren zentrale und verbindende Perspektiven bilden. Die islamische Normenwelt ist, neben anderen Traditionssträngen, ein mehr oder weniger wesentlicher Bestandteil der Diskussion; von eigentlichem Interesse aber sind Aktualisierungen der Traditionen in konkreten historischen und politischen Situationen und damit einhergehende neue Ideen und Ansätze. Die einschlägigen Schriften zur Ethik, die Fürstenspiegel und Verwaltungshandbücher sind überwiegend in den Umrissen bekannt, und einige Werke sind in der Fachliteratur eingehend behandelt, doch ist ihr politischer Gehalt, der sich in einer genretypischen Aufmachung, hinter bekannten Topoi und Themen verbirgt, zu wenig bekannt, um in die allgemeine Geschichte des politischen Denkens einzugehen. Dem will der SOURCE COMPANION TO MEDIEVAL ISLAMIC POLITICAL LITERATURE abhelfen, der ca. 55 Werke (in arabischer und persischer Sprache) aus der Zeit zwischen dem 12. und dem 16. Jh.zusammenfassend bespricht und in Übersetzungsauszügen vorstellt. Im Vortrag werden die Grundlagen unserer Wahrnehmung der Geschichte des islamischen politischen Denkens und daraus folgernd der Quellenauswahl dargestellt und problematisiert. Sie ergeben sich aus dem größeren Zusammenhang der theoretischen Ausgangspunkte, die ermöglichen sollen, diese Literatur nicht nur aus dem verbindenden Blickwinkel der Quellenfiliation, sondern auch durch ihre thematische Kohäsion und Entwicklung zu verstehen.
Mohsen Zakeri (Göttingen):
Political literature (7th-12th C.)
Resources and conceptual perspectives: An attempt at classification
Historical development of a science can be explored only when the ideas and practices of individuals and groups working in that science are well-known. Hence when studying the history of political thought, the first task is to substantiate the emergence of ideas in their respective contexts and then to trace their progress and impact through time. Political ideas are expounded upon by diverse participants with diverse interests: politicians, intellectuals, philosophers, jurists, and theologians, adherents of conflicting creeds, Ṣūfīs and so forth. Some give objective description of political reality, others move in the realm of utopias. Each and every one of these dynamic currents of thought has gone through various stages of change and growth, and so has contributed to the formation and expansion of political thought in Islamic history. As diversified as the contributors are the forms in which the ideas have been delivered, so that a typology and classification becomes inevitable: these may be grouped as: Political philosophy; Political and administrative history; Juristic or Constitutional traditions of politics (sharī‘at-nāmas); Adab-anthologies and encyclopedia; Socio-political articulations; Mirrors for princes (divided in turn into: Andarznāma/Pandnāma, Ādāb al-mulūk, Maḥāsin al-mulūk, Naṣīḥat al-mulūk, and so forth), plus Fables of the Kalīla wa-Dimna type; Fiction such as Sindbādnāma; Epic-historical: Khudāynāma (‘Book of the King’), Sīrat al-mulūk/Siyar al-mulūk; as well as Chivalrous romances such as Samak ‘Ayyār, Iskandar-nāma, and so forth. Parameters to be used for these categorizations will be explored.
Jennifer Viehl (Halle/Saale):
Das Wesirat als Topos und sein Bedeutungswandel.
Regierung im politischen Diskurs (11-.14. Jh.)
Die „Identität“ und die „Hartnäckigkeit von Themen“ bezeichnen nach Foucalt ein konstitutives Element eines Diskurses. Als besonders „hartnäckig“ hat sich die Diskussion um „gutes Regieren“ im politischen Schrifttum des sultanischen Zeitalters erwiesen. Die habitualisierte Anführung des Wesirats als die zentrale Institution der Regierung einerseits und des Wesirs als unabdingbaren Vermittlers zwischen Herrscher und Untertanen andererseits finden wir in nahezu allen Werken der politischen Ratgeberliteratur, die sich in paränetischer Absicht an ihren jeweiligen Adressaten richten. Kennzeichnend hierbei sind neben einem gemeinsamen Begriffsinventar stetig wiederkehrende Schlüsselausdrücke und eine Reihe von (vorrangig impliziten) intertextuellen Bezügen. In der Tradition des großen Staatstheoretikers al-Māwardī stehend preisen diese Texte das Wesirat als Stützpfeiler eines funktionierenden Staates und den Wesir als moralische Instanz gegenüber einem eher als fehlbar und unvollkommen skizzierten Herrscher. Im augenscheinlichen Kontrast dazu steht die historische Praxis, die vielmehr durch ein von Konkurrenz und Machtkämpfen geprägtes komplexes Geflecht von verschiedenen Regierungsinstitutionen geprägt war und in der das Wesirat allenfalls als eine Randerscheinung auftritt, teilweise zur vollkommenen Bedeutungslosigkeit verdammt war und häufig gar nicht existent war. Der Vortrag versucht daher der Frage nachzugehen, inwiefern das Wesirat als ein Topos innerhalb des Regierungsdiskurses wie eine Art Platzhalter fungiert, der „argumentatives Gewohnheitswissen“ (Wengeler) beschreibt. Ist die Stilisierung des guten Wesirs lediglich eine diskursimmanente Denkfigur und wo lassen sich Modifikationen und Bedeutungswandel innerhalb des Diskurses feststellen? Wieso hat sich der Topos des Wesirats als Sinnbild der guten Regierung entgegen der historischen Praxis als so hartnäckig entpuppt und welche Rolle spielen dabei die Interessenlage der Autoren und der Selbstbehauptungswille von Funktionsträgern?
Contact: Prof. Dr. Stefan Leder
The panel is organised by the OIB research project “Conceptualization of Ruling and Governing - The Sultanate as Paradigm”. It is meant to explore the foundations and developments of the history of political thought aiming at a retrieval of political discourse in the literature concerned (advice literature/mirrors for princes, ethics, constitutional law, handbooks). This implies the challenge to explore systematic accesses to a widely ramified and diverse literary production including so far less known source works often set aside by contemporary thought favoring more global or Islamic approaches. The project itself, which focuses on the period of the local sultanate (roughly 12th -17th century), will be presented by two contributions. |